Über den Arbeitsmarkt für Musicaldarstellerinnen
5. August 2022 – Isa Fallenbacher
Als die Leitung einer Musicalgruppe stand ich jedes Jahr wieder vor der Herausforderung, ein neues Stück mit vielen Frauenrollen zu finden, und in diesem Prozess wurde mir das erste Mal bewusst, dass der Frauenanteil bei den meisten Stücken nur bei etwa 30 % liegt. Interessante Stücke mit 60% Frauen oder mehr kann man an einer Hand abzählen und selbst Stücke mit einer 50/50 Verteilung sind selten. Das stellt aber ein Problem dar, da es immer deutlich mehr Studentinnen gibt, die in der Musicalgruppe mitwirken wollen, und auch im Arbeitsfeld gibt es deutlich mehr ausgebildete Musicaldarstellerinnen. Auch später als Musicaldarstellerin ist mir wieder dieses Ungleichgewicht aufgefallen, als ich die ausgeschriebenen Jobs über mehrere Monate hinweg verfolgt habe.
Und als ich dann selbst Zahlen gesammelt habe, um erste Statistiken zu erstellen, wurde mein Eindruck bestätigt. Bei Stage Entertainment – dem größten deutschen Arbeitgeber – gibt es in den derzeit laufenden 7 Produktionen 25 Frauenrollen und 53 Männerrollen (Ensemble ausgenommen). Das sind mehr als doppelt so viele Rollen für unsere männlichen Kollegen.
Wenn man sich die Frage stellt, wieso das so ist, stößt man schnell darauf, dass kreierende Personen im Musical lange Zeit fast ausschließlich männlich waren, und obwohl es inzwischen immer mehr Frauen in diesen Berufsfeldern gibt, auch heute noch deutlich mehr Männer schreiben und komponieren. Damit werden folglich auch überwiegend männliche Perspektiven und Geschichten erzählt. Hinzu kommt, dass Rollen, die nicht genderspezifisch angelegt sind, fast immer männlich gezeichnet werden – zum Beispiel der Arzt, der Polizist, etc.
Dies hängt wiederum damit zusammen, dass Frauen in unserer Gesellschaft lange Zeit nur als Ehefrau und Mutter sichtbar waren bzw. überhaupt eine Rolle spielten.
Doch das „Warum ist das so?“ ändert an der Situation noch nichts.
Deshalb ist die viel wichtigere Frage: „Wie kann sich das ändern?“
Hier gibt es verschiedenste Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen oder zumindest zu entspannen. Eine Möglichkeit wäre zu sagen: Es gibt wenige Jobs für Frauen, deshalb bilden wir auch weniger Frauen dafür aus. Doch wird nicht bereits seit Jahren Frauen von Anfang an gesagt, dass die Joblage schwer ist und wenn sie sich vorstellen können, irgendetwas anderes beruflich zu machen, sie lieber das tun sollten? Und trotzdem entscheiden sich jedes Jahr wieder eine Vielzahl an Frauen für den Weg als Musicaldarstellerin.
Die andere Möglichkeit wäre, dass man versucht, mehr Jobmöglichkeiten, also Frauenrollen zu schaffen. Nun würden kritische Stimmen sicher anführen, dass es jedoch einen festen Kanon an Musicals gibt und man jetzt nicht einfach nur noch die 5 Stücke für viele Frauen in allen Theatern spielen könne. Und dem stimme ich absolut zu. Es muss sich also an den zur Auswahl stehenden Stücken etwas ändern. Und auch hier gibt es mindestens zwei Wege: Zum einen bereits bestehende Stücke dahingehend zu bearbeiten, dass Rollen auch von anderen Gendern als bisher gespielt werden können. Dass das auch im Musical, wo zusätzlich die Stimmumfänge in den Songs beachtet werden müssen, möglich ist, zeigt das gefeierte Revival von Stephen Sondheims Company.
Zum anderen ist eine weitere Möglichkeit, neue Stücke zu schreiben, in denen Raum für weibliche Perspektiven, Geschichten und Rollen ist. Hier wäre es natürlich bereits ein Fortschritt, wenn die Verteilung 50/50 wäre, ein ausgleichender Effekt wäre jedoch erst gegeben, wenn die Frauenrollen deutlich überwiegen würden oder man auch mehr Stücke mit ausschließlich Frauenrollen kreieren würde.
Hier kommen die Zweifel und Ängste der Produzent*innen mit ins Spiel, ob das denn überhaupt irgendjemand sehen will. Und hier wird doch tatsächlich als Argument angeführt, dass das Musicalpublikum bekanntlich überwiegend aus Frauen besteht, die doch dafür zahlen Männer auf der Bühne zu sehen. Ich würde jedoch den Fakt, dass das Musicalpublikum überwiegend weiblich ist, eher als Argument für neue weibliche Stücke sehen, denn warum sollten ihre eigenen Geschichten sie denn nicht interessieren? Und nein, diese Stücke wären dann natürlich nicht nur für das weibliche Publikum interessant, sonst wäre der bisherige Kanon ja auch nur für das männliche Publikum interessant gewesen.
Ein aktuelles Beispiel dafür, dass ein Stück mit ausschließlich Frauenrollen genauso erfolgreich sein kann, wie ein traditionell besetztes Stück wäre das Musical Six, welches bei den letzten Tony Awards mehrere Preise gewann und bereits ein breites Publikum am West End und am Broadway begeisterte.
Und ja, der Markt regelt das Problem auf seine Art und Weise – es gibt viel mehr qualifizierte Frauen als verfügbare Jobs. Dementsprechend haben viele Darstellerinnen entweder zusätzliche Jobs außerhalb der Branche, um die Miete zu bezahlen, oder satteln nach einer gewissen Zeit frustriert und mit dem Gefühl, dass sie versagt haben, komplett um. Doch selbst die Darstellerinnen, die Jobs ergattern, leiden unter diesen Umständen. Denn hier kommt die altbekannte Gender-Pay-Gap ins Spiel. Da immer fast unendlich viele Frauen zur Verfügung stehen, ist ihr Marktwert leider deutlich geringer als der der männlichen Kollegen, da hier der Bedarf fast höher ist als die verfügbaren qualifizierten Darsteller. Eine Studie des Deutschen Kulturrats von 2014 zeigt eine Gender-Pay-Gap von 46% bei Schauspieler*innen. Ja, das ist ganz schön viel.
Und hier möchte ich nun anmerken – ja der Markt regelt das, ABER wir gemeinsam regeln auch den Markt! Jede*r Theaterbesucher*in, Intendant*in, Komponist*in, Autor*in, Produzent*in! Und liebe Kolleginnen – nichts spricht dagegen, dass auch ihr zu mehr als einer dieser Kategorien gehören könnt. Erlaubt euch zu träumen und verbündet euch mit Menschen, die eure Visionen teilen. Unterstützt Projekte, die ihr gut findet. Lasst uns aufhören, dieses alte Spiel mitzuspielen und unsere Zeit mit Konkurrenzkampf zu verschwenden. Sucht nicht weiter nach tausend Fehlern bei euch, wieso ihr keine Jobs bekommt, oder von eurer Gage nicht eure Miete zahlen könnt, sondern ergreift Initiative um Stück für Stück gemeinsam eine neue Realität zu erschaffen.
Genau diesen Weg möchte ich als Autorin, Komponistin, Produzentin und Darstellerin gehen und ich freue mich darauf, mit vielen Gleichgesinnten zusammenzuarbeiten und ganz konkrete Schritte der Veränderung zu gehen.